Kirchentag 2019

Berlin und Wittenberg

Prof. Dr. Doron Kiesel

Der jüdisch‐christliche Dialog kommt in die Jahre. Aber das kritische Gespräch muss fortgesetzt werden

Als vor einigen Wochen die Bundesverteidigungsministerin die Unterzeichnung eines Staatsvertrags zur Einrichtung eines Militärrabbinats in der Bundeswehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Aussicht stellte, waren die Repräsentanten der beiden christlichen Kirchen die Ersten, die den Vertretern der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland gratulierten und ihre volle Unterstützung bei der Realisierung dieses Vorhabens anboten.

Solche positiven Reaktionen seitens der christlichen Kirchen treten in der Regel immer dann ein, wenn gemeinsame Interessen derjenigen Religionsgemeinschaften betroffen sind, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts in der Bundesrepublik anerkannt sind.

Vorbehalte

Die Glaubensgemeinschaften halten gegenüber den Interessensbekundungen oder Vorbehalten staatlicher Instanzen oder juristischer Interventionen besonders dann zusammen, wenn sie befürchten müssen, dass das Ziel solcher Eingriffe die Einschränkung tradierter Rechte zur Folge haben könnte. Sie sind darauf bedacht, dass ihre Mitglieder – im Rahmen der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit – religiöse Überzeugungen artikulieren und religiöse Praktiken befolgen können.

Sobald theologische Differenzen die Beziehungen zwischen Juden und Christen bestimmen, erweist sich die erwähnte politische Übereinstimmung als weniger stabil.

Sobald jedoch theologische Differenzen die Beziehungen zwischen Juden und Christen bestimmen, erweist sich die erwähnte politische Übereinstimmung als weniger stabil. Die Erkenntnis, dass der christliche Antijudaismus nicht nur fast zwei Jahrtausende die Entfaltung jüdischen Lebens eingeschränkt oder verhindert und die rassistische Ideologie der Nationalsozialisten nachhaltig beeinflusst hat, ist seit Ende des Zweiten Weltkriegs eine permanente Herausforderung für das interreligiöse Gespräch zwischen Juden und Christen.

Zwar liegen die Analysen der gesellschaftlichen Bedingungen, die zunächst den religiösen Judenhass und später den politischen Antisemitismus hervorgerufen haben, vor, doch die erhoffte Läuterung der christlichen Theologie und die von jüdischen Geistlichen erwartete radikale Revision antijüdischer Denkmuster ist nur partiell eingetreten.

Reformation

Die Bereitschaft, wirklich tiefgreifende Revisionen oder eine Reform der Reformation in Theologie und kirchlicher Praxis vorzunehmen, war zunächst wenig entwickelt. Dabei ging es tatsächlich darum, die fundamentale Verfehlung von Kirche einzugestehen.

Die Einsicht in dieses grundsätzliche Versagen und die Entwicklung neuer Zugänge zum Judentum und damit zum grundlegenden theologischen Glaubensverständnis wurde dann in der AG Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag im Gespräch von Juden und Christen, in kleinen kirchlichen Zirkeln, Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und den christlich‐jüdischen Gesellschaften Stück für Stück entwickelt.

Aufbrüchen folgen auch immer wieder Einbrüche.

Dieser Prozess half zumindest den an diesen Gesprächen beteiligten Juden und Jüdinnen bei dem erneuten oder erstmaligen zögerlichen Heimischwerden in Deutschland. Die Repräsentanten der jüdischen Gemeinschaft erwarteten von den christlichen Kirchen ein irreversibles Umdenken, das zur Eliminierung judenfeindlicher Einstellungen führen sollte.

Während die antijüdischen Schichten in der Wahrnehmung der Hebräischen Bibel, des Talmuds und der Evangelien Stück für Stück abgetragen wurden, wurde deutlich, dass in der Einflussnahme auf die Ausbildung der Theologen und Theologinnen ein zentraler Hebel für eine grundsätzliche Revision der alten Tradition der Geringschätzung oder gar Verachtung der jüdischen Religion und Lebenswelt steckte.

Fundament

In der Logik dieser Einsicht haben die Landeskirchen der EKD mit der Veränderung des Grundartikels der entsprechenden Kirchenordnungen das Verhältnis zwischen Juden und Christen auf ein neues Fundament gestellt. Die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes wurde hierbei ebenso herausgestellt wie Gottes Bund mit den Juden.

In dieser Phase der Geschichte der Bundesrepublik hatte die jüdische Gemeinschaft den Eindruck, als würde nun endlich der Albdruck des Verschweigens nachhaltig durchbrochen und in den Kirchen nicht einfach nur eingestanden, sondern durch aktive Veränderung von bisher gültig geglaubten theologischen Grundsätzen, wie der Ablösung des Judentums durch das Christentum im Heilsversprechen Gottes und die Verachtung des Gesetzes und aller damit verbundenen negativen Zuschreibungen gegenüber dem Judentum, abgewandelt.

Zarte Hoffnung keimte auf, dass die Kirchen zu einem Bündnispartner im Kampf gegen Antisemitismus werden könnten.

Zarte Hoffnung keimte auf, dass die Kirchen zu einem Bündnispartner im Kampf gegen Antisemitismus werden könnten, weil sie das Übel an der christlichen Wurzel packen wollten. Und natürlich folgen Aufbrüchen auch immer wieder Einbrüche, wie vor einiger Zeit der Versuch einiger Theologen, die Relevanz der Hebräischen Bibel für die christliche Theologie infrage zu stellen.

Das kritische Gespräch zwischen Juden und Christen ist nach den verheerenden Demütigungen, die das Judentum durch die stets als dominant auftretenden christlichen Religionsgemeinschaften erfahren musste, existenziell für eine politische und religiöse Kultur, die auf der Grundlage wechselseitigen Respekts und der Anerkennung von Differenz beruht. Der Evangelische Kirchentag in Dortmund, bei dem wieder zahlreiche Juden ihre Stimme erheben und sich in die zentralen Debatten einmischen werden, bietet eine weitere Gelegenheit dazu.

Der Artikel erschien zuerst in der Jüdischen Allgemeinen vom 20.06.2019