Wichtige Nacharbeit zur ÖRK Versammlung im September

Stellungnahme der EKvW zum Thema „Israel“ auf der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen

Evangelische Kirche von Westfalen

Beschlossen am 19. Januar 2023 durch die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen nach Vorbereitung durch den Ständigen Theologischen Ausschuss.

Auf der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) im September 2022 in Karlsruhe wurde unter anderem das Verhältnis der Kirchen zu Israel debattiert. Die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) hat die Debatte und die Beschlüsse der Vollversammlung wahrgenommen und gibt dazu folgende Stellungnahme ab:

  1. Die EKvW bekennt sich in Artikel 1 ihrer Kirchenordnung zu dem „dreieinigen Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, der Israel zu seinem Volk erwählt hat und ihm die Treue hält, der in dem Juden Jesus, dem gekreuzigten und auferstandenen Christus, Menschen zu sich ruft und durch den Heiligen Geist Kirche und Israel gemeinsam zu seinen Zeugen und zu Erben seiner Verheißung macht“. Diese grundlegende Einsicht darin, dass Gott seinem Volk Israel die Treue hält und es nicht verstoßen hat, ist auch Grundlage jeder Stellungnahme zum Israel-Palästina-Konflikt.

  2. Die EKvW steht ein für eine doppelte Solidarität, das heißt mit den Menschen sowohl in Israel als auch in Palästina. Im November 2021 hat die EKvW zusammen mit vier weiteren Landeskirchen (Evangelische Kirche in Baden, Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, Evangelische Kirche der Pfalz, Evangelische Kirche im Rheinland) einen Gesprächsimpuls unter dem Titel „Israel – Palästina. Leitgedanken und erläuternde Thesen“ veröffentlicht. Darin bekräftigt die EKvW die „Vision eines unbedrängt und anerkannt lebenden Staates Israel Seite an Seite mit einem freien und souveränen Staat Palästina inmitten eines befriedeten Mittleren Ostens“. Sie bekräftigt die Erklärungen der Evangelischen Mittelostkommission der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und setzt sich weiterhin dafür ein, dass „Gerechtigkeit und Frieden in Israel und Palästina wachsen“.
  3. Der ÖRK hat auf seiner Gründungsveranstaltung im Jahr 1948 Antisemitismus als „Sünde gegen Gott und Menschen“ verurteilt. Als Reaktion auf die Beschlüsse der Weltkonferenz der Vereinten Nationen gegen Rassismus im Jahr 2001 in Durban hat die dort vertretene Delegation des ÖRK ein dreifaches Nein ausgesprochen: Ein Nein zu einer Gleichsetzung von Zionismus und Rassismus. Ein Nein zum Apartheidsvorwurf gegen Israel. Ein Nein zu einem Generalboykott Israels. Wir begrüßen es, dass die Vollversammlung des ÖRK diese Position zum Israel-Palästina-Konflikt nicht widerrufen hat.
  4. Im Beschlussdokument „Streben nach Gerechtigkeit und Frieden für alle im Nahen Osten“ beklagt die Vollversammlung des ÖRK die zunehmende Gewalt im Israel-Palästina-Konflikt. Sie bekräftigt grundlegend „den rechtmäßigen Platz des Staates Israel in der internationalen Staatengemeinschaft [und …] das Recht der Palästinenserinnen und Palästinenser auf Selbstbestimmung“. Im Hinblick auf den Vorwurf der Apartheid schließt sich die Vollversammlung des ÖRK dem Antrag der Anglikanischen Kirche von Südafrika nicht an, benennt jedoch den Dissens in dieser Frage: „Innerhalb dieser Vollversammlung unterstützen gewisse Kirchen und Delegierte den Gebrauch dieses Begriffs nachdrücklich […], während andere den Begriff unangemessen, nicht dienlich und schmerzhaft empfinden.“
  5. Die EKvW schließt sich dem Beschlussdokument „Streben nach Gerechtigkeit und Frieden für alle im Nahen Osten“ in seiner Einschätzung an, dass die Situation in Palästina zutiefst besorgniserregend sei. Die im Dokument erwähnten Missstände wie Besatzung, Siedlungsbau, Diskriminierung sowie das Verbot von Menschenrechtsorganisationen stehen einer Friedenslösung im Weg und werden von der EKvW genauso verurteilt wie terroristische Anschläge und der fortgesetzte Raketenbeschuss auf Ziele in Israel. Die EKvW hält die Anwendung des Begriffs der Apartheid auf Israel für nicht angemessen. Sie ist sich darin einig mit den Delegierten der EKD auf der ÖRK-Vollversammlung. Sie ist zudem über die Nennung des Dissenses irritiert, weil in Beschlussdokumenten des ÖRK üblicherweise Dissense nicht explizit erwähnt werden.
  6. Die EKvW kritisiert die unverhältnismäßige Konzentration auf Israel im Beschlussdokument „Streben nach Gerechtigkeit und Frieden für alle im Nahen Osten“. Die israelische Regierung wird im oben genannten Beschluss ausführlich wegen verschiedener Rechtsverstöße genannt, die Bedrängung christlicher Arbeit durch die Palästinensische Autonomiebehörde wird hingegen nur oberflächlich erwähnt. Außer Israel bezieht sich der Beschluss der Vollversammlung des ÖRK nur oberflächlich und allgemein auf Syrien und Irak, ohne konkrete Menschenrechtsverletzungen der dortigen Regimes bzw. die Diskriminierung dortiger Kirchen zu thematisieren. Die katastrophale Situation in Ländern wie Libanon, Iran, Ägypten oder Saudi-Arabien wird gänzlich verschwiegen. Die Konzentration auf die Konflikte in Israel / Palästina sind angesichts der dramatischen Kriege und Menschenrechtsverletzungen in der gesamten Region eine Verzerrung der Wirklichkeit. Damit setzt sich der Beschluss des ÖRK dem Vorwurf aus, antisemitisch zu argumentieren, da Doppelstandards in Blick auf die moralische Bewertung der Handlungen einzelner Staaten dem jüdischen Staat eine ungerechtfertigte moralische Sonderlast auferlegen. Der ÖRK nimmt damit seine eigene Betonung des Kampfes gegen Antisemitismus nicht ernst genug.
  7. Die Vollversammlung des ÖRK sieht in ihrem „Unity Statement“ die Einheit der Kirchen in der Liebe Christi verankert. Bei Würdigung aller positiven Ansätze der „Einheitserklärung“ ist es aus Sicht der EKvW theologisch bedenklich, dass an keiner Stelle die grundlegende Bedeutung Israels bzw. des jüdischen Glaubens für das Christentum und die jüdische Identität Jesu von Nazareth angesprochen wird. Ein solch fehlender Bezug zum Judentum öffnet die Türen für einen Antijudaismus, der nach der Schoah nicht mehr zur Lehre und zum Glauben der Kirchen gehören darf.
  8. Die EKvW wird auch in Zukunft die Beziehungen zu ihren jüdischen Geschwistern weiter stärken und den Dialog mit ihnen intensivieren. Sie unterstützt die Begegnung von jüdischen und christlichen Gläubigen auf allen Ebenen, setzt sich für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Judentum und Christentum ein und bekämpft antisemitische Tendenzen innerhalb und außerhalb ihrer Strukturen.

Im Text erwähnte Dokumente:
Kirchenordnung der Evangelischen Kirche von Westfalen:
1 Kirchenordnung (KO) – Kirchenrecht Online – Nachschlagewerk
Israel – Palästina. Leitgedanken und erläuternde Thesen:
Israel_-_Palaestina_-_November_2021_EKvW.pdf
Stellungnahme der ÖRK-Delegation auf der UN-Weltkonferenz gegen Rassimus 2001:
World Conference Against Racism, Racial Discrimination, Xenophobia and Related Intolerance, Durban, South Africa, 26 August – 7 September 2001 | World Council of Churches 
Streben nach Gerechtigkeit und Frieden für alle im Nahen Osten, ÖRK 2022:
Streben nach Gerechtigkeit und Frieden für alle im Nahen Osten | World Council of Churches
ÖRK 2022: Unity Statement:
Microsoft Word – ADOPTED A 05 rev 1 Draft Unity Statement First Revision_DE.docx